Der Silbermarkt erlebt derzeit einen historischen Ausnahmezustand. Panikkäufe, Engpässe und extreme Preisbewegungen erschüttern die weltweiten Handelsplätze. In London, dem Zentrum des globalen Edelmetallhandels, sind die Tresore leer, Händler berichten von einer noch nie dagewesenen Knappheit. „Was wir beim Silber sehen, ist völlig beispiellos“, sagt Anant Jatia, Chief Investment Officer des Hedgefonds Greenland Investment Management. „Derzeit ist keine Liquidität verfügbar.“

Der Spotpreis für eine Feinunze Silber stieg zuletzt auf 53,55 US-Dollar – ein Allzeithoch, das sogar den legendären Rekord von 1980 übertrifft. Während Gold seit Jahresbeginn rund 56 Prozent zulegte, explodierte der Silberpreis um fast 80 Prozent.
Knappheit treibt Preise in nie dagewesene Höhen
Die physischen Silberbestände in den globalen Tresoren sind in den letzten Jahren um mehr als ein Drittel geschrumpft. Um bestehende Verträge überhaupt noch bedienen zu können, lassen Händler Barren per Frachtflugzeug aus New York nach London bringen – eine Maßnahme, die sonst nur bei Gold üblich ist.
Der Markt reagiert panisch: Händler sprechen von einer „Silber-Panik“, ausgelöst durch Lieferengpässe, geopolitische Unsicherheiten und spekulativen Druck. Selbst kleine Marktstörungen lösen inzwischen starke Preisbewegungen aus.
Industrie treibt Nachfrage – Silber wird zum Schlüsselmetall
Silber ist längst kein reines Anlageprodukt mehr. Über 50 Prozent der weltweiten Nachfrage stammen aus der Industrie – vor allem aus den Bereichen Solarenergie, Halbleiter, Elektrofahrzeuge und Batterien. Seine hohe elektrische Leitfähigkeit macht Silber zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Energiewende.
Doch die Minenförderung sinkt. Seit 2016 ist sie um etwa sieben Prozent zurückgegangen. Das Silver Institute erwartet für 2025 bereits das fünfte Angebotsdefizit in Folge. Der Markt ist so angespannt, dass schon minimale Produktionsausfälle oder Transportverzögerungen massive Kursschwankungen verursachen.
Kulturelle Nachfrage aus Asien verschärft die Lage
In Indien, dem größten Silberimporteur der Welt, hat sich die Nachfrage in nur einem Jahr nahezu verdoppelt. Grund dafür sind die Feste Dussehra und Diwali, bei denen traditionell Edelmetalle verschenkt werden. Da Gold für viele unerschwinglich geworden ist, weichen Käufer zunehmend auf Silber aus.
Indische Juweliere zahlen inzwischen Aufschläge von bis zu zehn Prozent auf den Weltmarktpreis, um die enorme Nachfrage zu bedienen. Diese zusätzliche asiatische Nachfrage verschärft die globale Verknappung weiter – und heizt die Preisrally zusätzlich an.
Leerverkäufer in der Falle – Short Squeeze droht
Mit der Knappheit steigen auch die Leasingraten für Silber, also die Kosten, das Metall überhaupt zu leihen. Innerhalb weniger Wochen haben sich diese Sätze um über 30 Prozent verteuert. Händler, die auf fallende Preise gewettet haben, müssen ihre Positionen nun teuer zurückkaufen.
„Die Liquidität ist so dünn, dass schon kleine Schieflagen Panik auslösen“, erklärt Evy Hambro von Blackrock. Experten sprechen bereits von einem Short Squeeze – einer Kettenreaktion, bei der Leerverkäufer durch ihre Eindeckungskäufe selbst zum Preistreiber werden.
Die Gold-Silber-Ratio, die das Verhältnis beider Edelmetallpreise beschreibt, liegt aktuell bei etwa 80. Das bedeutet, Silber ist trotz des Rekordhochs im historischen Vergleich immer noch unterbewertet. Viele Analysten sehen deshalb weiteres Aufwärtspotenzial.
Parallelen zu 1980 – doch diesmal andere Ursachen
Die dramatische Preisrally erinnert viele an die Silberblase der 1970er-Jahre, als die texanischen Milliardäre Hunt-Brüder versuchten, den Markt zu monopolisieren. Damals trieben sie mit massiven Käufen den Preis künstlich in die Höhe, bis die Börse einschritt – der Crash kostete sie 1,5 Milliarden Dollar.
Heute ist die Situation anders. Es sind keine Spekulanten, sondern strukturelle Engpässe, industrielle Nachfrage und geopolitische Spannungen, die die Rally antreiben. Dennoch warnen Analysten, dass die extreme Knappheit den Markt anfällig macht: Schon geringe Kapitalabflüsse könnten einen Preissturz auslösen.
Ein Vorgeschmack darauf kam am Dienstag: Innerhalb weniger Stunden fiel der Silberpreis um fast vier Dollar pro Unze – ein Absturz, der zeigt, wie nervös der Markt reagiert. „Das könnte ein erster Dämpfer sein, der eine Konsolidierung einleitet“, sagte ein Händler in London.
Trotzdem bleibt die Grundstimmung optimistisch. Paul Williams, Chef des Edelmetallhändlers Solomon Global, erwartet: „Ein Silberpreis von 100 Dollar bis Ende 2026 ist realistisch.“ Auch BNP Paribas Fortis und Bank of America sehen erhebliches Potenzial – sie halten die Rally noch lange nicht für beendet.