Branche erlebt tiefste Krise seit über einem Jahrzehnt
Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie befindet sich weiter im Abwärtstrend. Laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) sank die Produktion im dritten Quartal 2025 erneut spürbar. Insgesamt verzeichnete die Branche ein Minus von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, während der Umsatz um 2,3 Prozent auf 52,1 Milliarden Euro zurückging. Besonders alarmierend: Die Auslastung der Anlagen fiel mit 70 Prozent auf den niedrigsten Stand seit Jahren – weit unter der Grenze, die als wirtschaftlich tragfähig gilt.
Chemiesektor bricht ein – Pharma trotzt dem Trend
Während die Chemieproduktion um 4,3 Prozent einbrach, legte die Pharmasparte überraschend um 3,4 Prozent zu. Diese gegenläufige Entwicklung kann den Gesamtrückgang jedoch nicht kompensieren. Die Kernbereiche der chemischen Industrie – darunter Grundstoffe, Kunststoffe und Spezialchemikalien – kämpfen mit einer schwachen Nachfrage sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland. Damit setzt sich die Krisenspirale fort, die bereits seit 2023 anhält.
VCI warnt vor strukturellem „Knock-out“
Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des VCI, fand deutliche Worte: „Die Industrie taumelt Richtung Jahresende. Gerade in der Chemie hakt es an allen Ecken. Produktion, Umsatz, Preise, Auslastung: Alles steht im Minus. Der Knock-out rückt immer näher.“ Der Verband warnt, dass sich die Branche in einer strukturellen Krise befinde, nicht nur in einem konjunkturellen Abschwung. Besonders problematisch seien die hohen Energie- und Standortkosten, die Deutschland im internationalen Wettbewerb zunehmend benachteiligen.
Überkapazitäten und Energiepreise als Hauptprobleme
Neben der schwachen Industriekonjunktur lasten vor allem weltweite Überkapazitäten und anhaltend hohe Energiekosten auf der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produzenten. Viele Unternehmen arbeiten weit unter ihrer maximalen Produktionsleistung, da Aufträge aus der Automobil-, Bau- und Konsumgüterindustrie ausbleiben. Laut Branchenexperten haben sich die gestiegenen Energiepreise, die aus der Energiekrise 2022 hervorgingen, bis heute nicht normalisiert.
Strukturelle Schwächen gefährden den Industriestandort
Die aktuelle Entwicklung wirft auch Fragen zur Zukunft des Standorts Deutschland auf. Immer mehr Firmen verlagern ihre Produktion ins Ausland – dorthin, wo Energie günstiger und Genehmigungsverfahren schneller sind. Laut VCI ist die Auslastung von 70 Prozent ein deutliches Warnsignal, dass die industrielle Basis weiter zu erodieren droht. Ohne politische Gegenmaßnahmen drohe ein dauerhafter Verlust an Arbeitsplätzen und Innovationskraft.
Pharmaindustrie bleibt einziger Lichtblick
Einzig die Pharmabranche zeigt sich robust. Mit einem Plus von 3,4 Prozent beweist sie, dass Forschung, Entwicklung und Gesundheitsprodukte weiterhin Wachstumstreiber sind. Experten sehen darin ein Beispiel, wie gezielte Förderung und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen können – ein Modell, das nach Meinung vieler Branchenvertreter auch für die Chemie Vorbildcharakter haben sollte.
Politik unter Druck – Branche fordert EntlastungDer VCI appelliert an die Bundesregierung, rasch Maßnahmen zur Standortstärkung zu ergreifen. Gefordert werden steuerliche Anreize, vereinfachte Genehmigungen und eine Senkung der Energiekosten. Nur so könne verhindert werden, dass Deutschland weiter an industrieller Substanz verliert. Die Branche steht mit rund 460.000 Beschäftigten für einen zentralen Teil der deutschen Wertschöpfungskette – ihr Schicksal gilt als Gradmesser für die gesamte Industriepolitik des Landes.