Rückzug aus Enttäuschung
Anne Brorhilker, die Chefermittlerin in den Cum-Ex-Fällen, hat ihren Rückzug aus dem Staatsdienst bekannt gegeben und dabei schwere Vorwürfe gegen das System der Strafverfolgung in Deutschland erhoben. In einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Rolle und den Grenzen der Justiz hat sie entschieden, ihre Position aufzugeben, um auf die strukturellen Mängel und Ungerechtigkeiten in der Bekämpfung von Finanzkriminalität hinzuweisen.
Unzureichende Maßnahmen gegen Steuerdelikte
Brorhilker hat über ein Jahrzehnt lang die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität vorangetrieben und festgestellt, dass trotz legislativer Bemühungen die alten Muster von Steuerbetrug weiter existieren. „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, erklärte sie dem WDR. Ihr Frustrationspunkt: Die ersten Cum-Ex-Fälle wurden vor über elf Jahren aufgedeckt, doch adäquate politische und justizielle Reaktionen ließen auf sich warten. Steuerdiebstähle wurden nicht effektiv gestoppt, und es entwickelten sich neue, ähnlich strukturierte Betrugsmodelle.
Kritik am Strafverfolgungssystem
Die Hauptkritik Brorhilkers richtet sich gegen das Strafverfolgungssystem, das sie als unterfinanziert und schlecht ausgerüstet beschreibt. Sie berichtet von einem Ungleichgewicht der Gerechtigkeit, das reiche und einflussreiche Straftäter begünstigt, die sich oft ihre Freiheit „erkaufen“ können: „Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Diese Erfahrungen haben sie dazu bewogen, eine Verbesserung der Ressourcen für die Justiz und die Gründung einer zentralen Bundesbehörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität zu fordern.
Die Bilanz ihrer Ermittlungsarbeit
Während ihrer Amtszeit wurden unter Brorhilkers Leitung in Köln rund 120 Verfahren gegen etwa 1700 Beschuldigte geführt. Ihre Ermittlungen führten zu ersten Urteilen im Steuerskandal Cum-Ex und brachten Kanzler Scholz in Erklärungsnot. Der durch Cum-Ex-Transaktionen verursachte Schaden, der in der Hochphase zwischen 2006 und 2011 entstand, wird auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Diese Transaktionen betrafen den Kauf und Verkauf von Aktien um den Dividendenstichtag herum, die eine mehrfache Steuerrückerstattung durch den Fiskus zur Folge hatten, obwohl die entsprechenden Steuern niemals entrichtet wurden.
Wechsel in die zivilgesellschaftliche Organisation
Enttäuscht von den strukturellen Defiziten im Justizapparat, hat sich Brorhilker entschieden, ihre Karriere als Staatsanwältin zu beenden und stattdessen als Geschäftsführerin bei der NGO Finanzwende anzutreten. In dieser neuen Rolle hofft sie, weiterhin Einfluss auf die Reform des Finanzsektors nehmen zu können und für eine gerechtere Verfolgung von Wirtschaftskriminalität zu kämpfen.
Die Geschichte von Anne Brorhilker wirft ein scharfes Licht auf die Komplexität und die Herausforderungen im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Ihr Schritt zurück ist nicht nur ein persönliches Zeichen der Frustration, sondern auch ein Weckruf für die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen im System der strafrechtlichen Verfolgung von Finanzdelikten. Ihre Erfahrungen und ihr künftiges Wirken werden zweifellos weiterhin wichtige Impulse für die Diskussion um Gerechtigkeit und Effizienz in der Bekämpfung von Finanzkriminalität setzen.