Insolvenzen erreichen neuen Höchststand
Der deutsche Einzelhandel befindet sich in einer anhaltenden Krise. Zwischen August 2024 und August 2025 registrierte die Branche 2.490 Unternehmenspleiten. Das ist der höchste Stand seit 2016 und nur knapp unter dem damaligen Negativrekord von 2.520 Insolvenzen. Zu den Betroffenen zählen prominente Namen wie Görtz, Gerry Weber, Wormland und Esprit. Auch viele kleinere Handelsbetriebe mussten schließen oder Filialnetze stark zurückfahren.
Der Kreditversicherer Allianz Trade sieht eine klare Tendenz zu weiter steigenden Ausfallzahlen. Branchenanalyst Guillaume Dejean erklärt: „Wir rechnen mit einer anhaltenden Konsolidierung im Einzelhandel.“ Zwar dürfte sich das Tempo etwas verringern, die Richtung aber bleibe eindeutig.
Strukturprobleme treffen Traditionsmarken
Die Insolvenzfälle zeigen: Selbst bekannte Unternehmen mit langer Historie sind nicht mehr vor dem Strukturwandel geschützt. Görtz ist bereits zum zweiten Mal zahlungsunfähig. Auch Gerry Weber, seit Jahren angeschlagen, kämpft erneut ums Überleben. Die Textilkette Esprit schloss 2025 alle deutschen Filialen und verschwand damit aus nahezu jeder Innenstadtlage. Depot sowie Kodi reagierten mit erheblichen Kürzungen ihres Filialbestands.
Diese Entwicklungen sind Resultat tiefgreifender Veränderungen im Konsumverhalten und im Handelsumfeld, die seit der Pandemie enorm an Dynamik gewonnen haben.
Schwache Konsumlaune verschärft die Lage
Die Kaufzurückhaltung deutscher Verbraucher bleibt ein wesentlicher Faktor. Steigende Lebenshaltungskosten und eine anhaltend gedämpfte Stimmung führen dazu, dass Haushalte vorsichtiger werden und mehr sparen. Der Einzelhandel erwartet daher ein schwaches Weihnachtsgeschäft – ein kritischer Zeitraum, der für viele Unternehmen über Erfolg oder Scheitern entscheidet.
Digitale Transformation als Überlebensfrage
Der klassische Handel steht weiter unter Druck durch große Online-Plattformen und veränderte Kundenerwartungen. Allianz-Experte Dejean betont: „Der Einzelhandel kämpft noch immer mit den tiefgreifenden Veränderungen seines Geschäftsmodells.“
Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Händler stark in technologische Systeme investieren, etwa:
• KI-gestützte Warenempfehlungen
• robotergesteuerte Lager- und Inventurprozesse
• digitale Tools für modernes Flächen- und Sortimentsmanagement
Doch gerade kleinere Unternehmen stoßen dabei schnell an finanzielle Grenzen. Dejean beschreibt die Situation als „Kampf David gegen Goliath“.
Europa zeigt gemischtes Bild
Ein Blick über die Landesgrenzen macht jedoch Hoffnung. Während sich der deutsche Markt weiter eintrübt, gehen in anderen europäischen Ländern die Insolvenzen zurück:
• Frankreich: minus 2 Prozent
• Großbritannien: minus 10 Prozent
• Niederlande: minus 23 Prozent
• Norwegen und Dänemark: ebenfalls deutliche Rückgänge
Verbesserte Reallöhne, ein stärkerer Euro und etwas günstigere Finanzierungsbedingungen könnten auch in Deutschland unterstützend wirken.
Chinesische Konkurrenz bleibt herausfordernd
Internationale Handelsplattformen aus China belasten die Margen deutscher Anbieter weiter erheblich. Neue steuerliche Vorgaben für geringwertige Importsendungen sollen nun für fairere Wettbewerbsbedingungen sorgen. Dejean warnt jedoch: „Diese Regelung hilft den hiesigen Einzelhändlern, ist aber auch kein Allheilmittel.“
Das wachsende Interesse chinesischer Anbieter am europäischen Markt könnte zudem zu weiteren Übernahmen und Partnerschaften im deutschen Handel führen – mit völlig neuen Dynamiken für die Branche.Schwierige Zukunft – aber auch Chancen zur Erneuerung
Der deutsche Einzelhandel steht an einem Wendepunkt. Die tiefgehende Marktbereinigung setzt sich fort. Nur Unternehmen, die
• ihr digitales Geschäftsmodell konsequent stärken,
• effizient investieren
• und kundenzentrierte Innovationen vorantreiben
werden den Strukturwandel erfolgreich meistern.