Ein außergewöhnlicher medizinischer Fall gibt Hoffnung
An der Berliner Charité ist Medizinern ein Durchbruch gelungen, der die Grundlagen der bisherigen HIV-Behandlung in Frage stellt. Ein 60 Jahre alter Patient gilt als vollständig von HIV und gleichzeitig von Blutkrebs geheilt. Das Besondere daran: Für diesen Erfolg war keine genetische Resistenz gegen HIV erforderlich, die bisher als zentrale Voraussetzung für eine Heilung angesehen wurde.
Der Fall sorgt weltweit für Aufmerksamkeit. Der Mann ist erst der siebte Mensch, bei dem das Virus dauerhaft nicht mehr nachweisbar ist. Wissenschaftler sprechen von einem wichtigen Schritt auf dem Weg zu neuen Therapieformen.
Heilung ohne genetische Resistenz
Bislang gingen Forscher davon aus, dass ein Spenderorgan über eine genetisch resistente Variante verfügen muss, die verhindert, dass das Virus Immunzellen infiziert. Diese Mutation kommt nur bei etwa ein Prozent der europäischen Bevölkerung vor.
Beim Berliner Patienten lag dieses Merkmal nicht vor. Bluttests zeigten sogar, dass die Spenderzellen grundsätzlich angreifbar waren. Dennoch blieb der Mann nach der Stammzelltransplantation langfristig frei von HIV. Diese Beobachtung stellte das bisherige Verständnis der HIV-Heilung grundlegend in Frage.
Immunreaktion als Schlüsselmechanismus
Eine neue Untersuchung der Charité liefert nun eine mögliche Antwort. Im Blut des Patienten fanden sich besonders wirksame Antikörper, die infizierte Zellen erkennen und markieren konnten. Dadurch wurden sogenannte natürliche Killerzellen aktiviert, die diese Zellen zerstören. Die Mediziner sprechen von antikörperabhängiger zellulärer Zytotoxizität, kurz ADCC.
Der Immunologe Christian Gaebler erklärt: „Bisher lag der Fokus auf dem resistenten Transplantat. Jetzt zeigt sich, dass auch ein sensibles Immunsystem erfolgreich sein kann.“ Dieser Mechanismus könnte eine zentrale Rolle für zukünftige Behandlungen spielen.
HIV in Europa weiterhin ein drängendes Thema
Parallel zu diesem Erfolg warnen Experten, dass viele HIV-Infektionen in Europa weiterhin erst spät entdeckt werden. Ein erheblicher Anteil der Betroffenen erhält die Diagnose erst in einem fortgeschrittenen Stadium. Der medizinische Fortschritt ist deshalb nicht nur für die Forschung relevant, sondern auch ein Zeichen dafür, dass präventive Maßnahmen und Aufklärung weiterhin notwendig bleiben.
Neue Immuntherapien eröffnen Perspektiven
Auf den Erkenntnissen der Charité bauen derzeit mehrere klinische Studien auf. Dabei wird untersucht, ob die Antikörper, die im Fall des Berliner Patienten maßgeblich zur Heilung beitrugen, gezielt verabreicht werden können. Erste Ergebnisse sind vielversprechend. Bei etwa 20 Prozent der Patienten gelingt es bereits, das Virus ohne tägliche Medikamente dauerhaft zu unterdrücken.
Zukünftige Behandlungen könnten noch weiter gehen. Forscher prüfen, ob Immunzellen gentechnisch verändert werden können, um das Virus aktiv zu bekämpfen. Ähnliche Methoden werden in der modernen Krebsmedizin schon angewendet. Der jüngste Erfolg zeigt, dass vergleichbare Ansätze auch im Bereich der HIV-Therapie möglich werden.