Bänke bleiben leer
Berlin. Am Dienstag verließ eine große Anzahl der Abgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) demonstrativ den Plenarsaal des Bundestages, kurz bevor der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Rede hielt. Diese Aktion, die von den Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla angeführt wurde, sorgte für erhebliches Aufsehen und gemischte Reaktionen.
AfD: „Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören“
In einer gemeinsamen Pressemitteilung begründeten Weidel und Chrupalla den Boykott mit scharfen Worten: „Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören.“ Sie betonten, dass Selenskyjs Amtszeit abgelaufen sei und er nun lediglich als „Kriegs- und Bettelpräsident“ im Amt verbleibe. Die beiden Fraktionsvorsitzenden forderten statt eines „Kriegspräsidenten“ einen „verhandlungsbereiten Friedenspräsidenten“ in der Ukraine, um das Sterben zu beenden.
Der Fraktionsvorstand der AfD hatte bereits am Montag beschlossen, der Rede des ukrainischen Präsidenten fernzubleiben. In ihrer Stellungnahme kritisierten Weidel und Chrupalla, dass die Bundesregierung Selenskyj keine Bühne für „Wiederaufbaubettelei“ bieten solle. Deutschland zahle bereits „mehr als genug“ für Militärhilfe, EU-Hilfe und Bürgergeld für Ukrainer. Nun solle auch noch deutsches Steuergeld „für Blackrock und andere Investoren“ verschleudert werden. „Genug ist genug. Die Bundesregierung muß sich mit Diplomatie für Frieden in der Ukraine einsetzen“, forderten Weidel und Chrupalla.
Alice Weidel, AfD
Vier AfD-Abgeordnete widersprechen dem Boykott
Entgegen dem Fraktionsbeschluss blieben jedoch vier AfD-Abgeordnete während der Rede auf ihren Plätzen sitzen. Norbert Kleinwächter, Albrecht Glaser, Joachim Wundrak und Rainer Kraft entschieden sich, der Rede von Selenskyj zuzuhören, was eine bemerkenswerte Abweichung von der offiziellen Parteilinie darstellte.
BSW: Selenskyj befördert „hochgefährliche Eskalationsspirale“
Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kritisierte die Rede Selenskyjs scharf. In einer eigenen Stellungnahme argumentierte das BSW, dass die ukrainische Regierung derzeit auf eine „offene Eskalation des Krieges“ unter Beteiligung der NATO setze. „Präsident Selenskyj trägt leider aktuell dazu bei, eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern und nimmt dabei das Risiko eines atomaren Konflikts mit verheerenden Konsequenzen für ganz Europa in Kauf.“
Aus diesem Grund unterstütze das BSW die Sonderveranstaltung im Bundestag nicht. Stattdessen solle die Bundesregierung ihren Einfluss auf die Ukraine nutzen, um Friedensgespräche mit Russland zu erwirken.
Sahra Wagenknecht, BSW
Friedrich Merz: „Bin einigermaßen entsetzt“
Die Aktion von AfD und BSW stieß bei anderen Bundestagsabgeordneten auf heftige Kritik. Friedrich Merz, Parteichef der CDU, verurteilte den Boykott deutlich. „Daß man als Abgeordneter im Deutschen Bundestag den Staatspräsidenten dieses vom Krieg bedrohten Landes den Respekt versagt, ist ein wirklicher Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlamentes“, sagte Merz kurz nach der Veranstaltung. Er bezeichnete den Schritt als „in höchstem Maße befremdlich“. Während der Kreml sich unwillig zeige, über Frieden in der Ukraine zu verhandeln, behaupteten BSW und AfD weiterhin das Gegenteil.
Ein tiefgreifender Konflikt im Bundestag
Die Kontroverse um die Selenskyj-Rede im Bundestag verdeutlicht die tiefen politischen Gräben, die den deutschen Bundestag derzeit durchziehen. Während die meisten Abgeordneten dem ukrainischen Präsidenten respektvoll zuhörten und seine Ansprache als wichtige Geste der Solidarität gegenüber einem vom Krieg betroffenen Land sahen, nutzen andere die Gelegenheit, um ihre kritische Haltung gegenüber der aktuellen deutschen und internationalen Ukraine-Politik zu demonstrieren.
Rede im Bundestag: Selenskyj
Diese Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Bundestages spiegeln die vielfältigen und oft gegensätzlichen Ansichten wider, die in der deutschen Gesellschaft hinsichtlich des Ukraine-Konflikts existieren. Während einige einen stärkeren diplomatischen Einsatz fordern, sehen andere die militärische Unterstützung als unverzichtbar an, um die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression zu unterstützen.
Die Boykottaktion der AfD und des BSW hat deutlich gemacht, dass der Umgang mit dem Ukraine-Krieg und die Position Deutschlands in diesem Konflikt weiterhin heftig umstritten bleiben. Die Reaktionen auf diese Aktion zeigen, wie tief die Meinungsverschiedenheiten gehen und dass eine einheitliche Haltung in der deutschen Politik in naher Zukunft schwer zu erreichen sein wird.