Wahlverzicht im Bundestag sorgt für politische Spannungen
Die geplante Wahl von drei neuen Bundesverfassungsrichtern ist am Donnerstag überraschend vertagt worden. Grund dafür war der zunehmende Streit um die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Die Abstimmung, die ursprünglich noch vor der Sommerpause stattfinden sollte, wurde kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags gestrichen.
Kandidatin Brosius-Gersdorf wird zur Zielscheibe
Im Zentrum der Kontroverse steht die 54-jährige Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, die unter anderem liberale Positionen zum Abtreibungsrecht vertritt. Diese Haltung wurde insbesondere von konservativen Kreisen kritisiert. Laut SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese habe sich eine „Hetzkampagne aus rechten Kreisen“ gegen Brosius-Gersdorf entwickelt. „Sie ist eine hochangesehene Juristin, fachlich über jeden Zweifel erhaben“, betonte Wiese.
Die SPD wirft der Union vor, interne Zusagen zur Unterstützung der Kandidatin gebrochen zu haben. Besonders unter Druck: CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn, der offenbar im Vorfeld Zustimmung signalisiert hatte.
Morddrohungen und Plagiatsvorwürfe heizen Debatte an
Zusätzlich zur politischen Debatte wurde Brosius-Gersdorf im Internet mit Morddrohungen konfrontiert. In sozialen Netzwerken eskalierte der Tonfall. Hinzu kam eine mediale Kontroverse um Plagiatsvorwürfe, ausgelöst durch den österreichischen Analysten Stefan Weber. Dieser hatte Ähnlichkeiten zwischen der 1997 veröffentlichten Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitation ihres Ehemanns von 2000 thematisiert.
Die Universität Hamburg erklärte jedoch, es gebe derzeit keinen Anlass zur Prüfung der Arbeit. Plagiatsexperten wiesen darauf hin, dass zeitlich zuerst veröffentlichte Texte im Zweifel als Original gelten.
Frauenverbände sprechen von antifeministischer Kampagne
Die Frauenorganisation der SPD verurteilte die Vorgänge scharf und sprach von einer „antifeministischen Hetzkampagne“. In einer Erklärung hieß es: „Es handelt sich um einen gezielten Versuch, starke Frauen aus dem öffentlichen Raum zu drängen.“ Die Co-Vorsitzenden Maria Noichl und Ulrike Häfner warnten vor einem „Backlash“ in der gesellschaftlichen Gleichstellungspolitik.
Auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann kritisierte die Union mit scharfen Worten: „Ein solches Desaster hat es bei der Wahl zum Bundesverfassungsgericht noch nie gegeben.“
Die AfD reklamiert den Vorgang für sich
Die AfD-Fraktionsvizechefin Beatrix von Storch wertete die gescheiterte Wahl als eigenen Erfolg: „Wir haben verhindert, dass diese drei Richter gewählt werden.“ Auch AfD-Chefin Alice Weidel äußerte sich und sagte: „Unsere Gewaltenteilung lebt vom Vertrauen der Bürger in Institutionen. Dieses Vertrauen wurde erschüttert.“
SPD-Chef Klingbeil warnt vor Vertrauensverlust
SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil appellierte an die demokratische Verantwortung der Union. „Wenn eine Richterin eine kritische Position zu Paragraph 218 hat, ist das legitim.“ Die Entscheidung, die Wahl zu vertagen, zeige, wie brüchig der parteiübergreifende Konsens geworden sei. „Das Land geht kaputt, wenn politische Debatten so geführt werden.“
Verfassungsgericht bleibt handlungsfähig
Formal bleibt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorerst arbeitsfähig. Die betroffenen Richterinnen und Richter – Josef Christ, Doris König und Ulrich Maidowski – bleiben bis zur Nachbesetzung kommissarisch im Amt. Sollte die Wahl weiterhin blockiert bleiben, könnte ab Ende August auch der Bundesrat die Auswahl übernehmen – eine im Gesetz verankerte Möglichkeit.