Kabinettsbeschluss beendet monatelangen Streit
Nach langen und teils erbitterten Diskussionen hat das Bundeskabinett die Reform des Bürgergelds beschlossen. Die bisherige Leistung wird abgeschafft und durch eine neue Grundsicherung ersetzt. Der Durchbruch kam überraschend knapp zustande: Ein einzelner, neu formulierter Satz im Gesetzentwurf ebnete den Weg für die Einigung innerhalb der Koalition.
Bereits eine Woche zuvor war ein erster Anlauf gescheitert. Damals hatten Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) Vorbehalte angemeldet. Der geplante Kabinettsbeschluss wurde kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Erst nach intensiven Nachverhandlungen konnte nun Einigkeit erzielt werden.
Streitpunkt Sanktionen: Schutz oder Schlupfloch
Im Zentrum der Auseinandersetzung stand ein Passus aus dem Entwurf von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Dieser betraf Leistungsbezieher, die Termine beim Jobcenter nicht wahrnehmen. Bas hatte vorgesehen, dass Betroffene erst dann vollständig sanktioniert werden dürfen, wenn sie zuvor persönlich angehört wurden.
Ihr Ziel war es, Menschen mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen vor ungerechtfertigten Komplettsanktionen zu schützen. Wörtlich erklärte sie, sie wolle „nicht die Falschen treffen.“ Nach Ansicht der Unionsvertreter hätte diese Regelung jedoch dazu führen können, dass sogenannte notorische Verweigerer faktisch nicht mehr sanktioniert werden können.
Kompromissformel bringt Bewegung
Die Lösung lag schließlich in einer sprachlichen, aber inhaltlich entscheidenden Änderung. Aus der verpflichtenden Anhörung wurde eine „Gelegenheit zur Anhörung“. Im aktuellen Gesetzentwurf zur neuen Grundsicherung heißt es wörtlich:
„Bei der Prüfung eines dritten aufeinander folgenden Meldeversäumnisses ist sicherzustellen, dass die Gelegenheit zur persönlichen Anhörung auch tatsächlich gegeben wird.“
Damit bleibt der Schutz für gesundheitlich eingeschränkte Personen bestehen, während zugleich der Weg für Sanktionen bei wiederholtem Fehlverhalten offenbleibt. Für die Koalition war diese Formulierung der notwendige Kompromiss, um den Reformprozess abzuschließen.
Jobcenter sollen Kontakt nicht verlieren
Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass Jobcenter aktiv verhindern sollen, dass der Kontakt zu Leistungsbeziehern vollständig abbricht. Für den betroffenen Personenkreis sollen telefonische oder aufsuchende Maßnahmen eingesetzt werden. Ziel ist es ausdrücklich, einen dauerhaften Abbruch der Kommunikation zu vermeiden und die Erreichbarkeit der Betroffenen sicherzustellen.
Damit soll verhindert werden, dass Sanktionen allein aufgrund fehlender Kontakte ausgesprochen werden, ohne zuvor alternative Kommunikationswege genutzt zu haben.
Härtere Regeln und vollständige Sanktionen
Mit der neuen Grundsicherung verfolgt die Bundesregierung eine deutlich strengere Linie als beim Bürgergeld, das Anfang 2023 eingeführt worden war. Teile dieser Reform werden nun zurückgenommen. Rechte und Pflichten sollen klarer definiert und verbindlicher durchgesetzt werden.
Künftig sollen Komplettsanktionen wieder möglich sein. In bestimmten Fällen können auch die Kosten der Unterkunft vollständig gestrichen werden. Ziel der Reform ist es, Leistungsbezieher stärker zur Arbeitsaufnahme und zur Einhaltung der Regeln zu bewegen.
Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen
Trotz des Kabinettsbeschlusses ist der Reformprozess noch nicht beendet. Das Gesetz muss sowohl den Bundestag als auch den Bundesrat passieren. Vertreter der Bundesregierung zeigen sich dennoch zuversichtlich.Kanzleramtsminister Thorsten Frei geht davon aus, dass die neue Grundsicherung im Frühjahr in Kraft treten kann. Ob dieser Zeitplan eingehalten wird, gilt jedoch als offen, da im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen möglich sind.